Zaudernde Weile

Wir befinden uns in einer Epoche der Hast und künstlichen Aufgeregtheit. Wir wollen keine Zeit verlieren. Durch äußere Impulse, lassen wir uns wie Getriebene hetzen, möglichst mehrere Ziele gleichzeitig zu bewerkstelligen.

Angesichts eines erklärten Zieles scheint die Beschleunigung sinnvoll. Doch: Je schneller das Ziel erreicht werden soll, desto effizienter muss der Vorgang sein. Beschleunigung an sich ist ein rein funktionaler Prozess (wie beispielsweise bei einem Rechenprozessor), jede Verzögerung ist dabei eine Störung. Aber Beschleunigung ist letztendlich Haltlosigkeit, Aufenthaltslosigkeit, fehlender Halt – außer Rand und Band – wie man so schön sagt.

Wir befinden uns in einem Konflikt: wir haben keine Zeit, aber wir wollen keine Zeit verlieren. Wie können wir etwas verlieren was wir ja gar nicht haben? Die fehlende Verankerung im Sinn und der fortlaufende Zwang zu Neuem, lässt die Zeit halt- und sinnlos fortstürzen.
Wenn wir Zeit als Mittel betrachten, um eine bestimmte Eigenschaft zu erwerben oder einen Zustand zu erreichen, verschieben oder vermeiden wir nur das, was ist.

In der Serie „Zaudernde Weile“ gebe ich mir die Zeit und lasse die Störungen, die Verzögerungen zu. Die Aufnahmen entstehen durch eine analoge Lochbildkamera mit langer Belichtungszeit. Dafür halte ich mich in der Natur auf und gebe mich interessiert diesem gegenwärtigen Augenblick hin. Das Ergebnis ist nicht geplant, nicht optimiert und ruft bei mir immer wieder Staunen hervor.

Das Verständnis dafür was es mit der Zeit auf sich hat, lässt uns erst die Schönheit und die Bedeutung des Zeitlosen erfahren… Wahrnehmen was ist, ist zweifellos nicht von der Zeit abhängig.

© Text: Christine Henke